Donnerstag, 20. Mai 2010

Schubkarren

Es gibt Augenblicke, da die erschöpfte Sonne kurz anhält mit den Schubkarren,
Voll gefüllt mit gelbem Sand…Und der Himmel gönnt sich eine kurze Pause…
Die Bäume holen ein wenig Luft – sie bewegen ihre Zweige,
Ein erfrischender Lufthauch neigt das bleichende Stroh des Getreides.

Und es wird große Stille am Himmel und auf der heißen Erde,
Auf dem Wasser wirbeln Wellen, wie froh gestimmte Fische –
Bis sich die Sonne schließlich wieder seufzend nach dem Karren bückt
Und als bergaufwärts im blendenden Kreis zu schieben beginnt…

Zofia Górska

Aus den geschmuggelten Briefen:

„Nur ein, unser Transport aus dem Generalgouvernement vom 23. September 1941 wird von diesen Transporten ausgenommen, ich weiß es nicht, ob Ihr über die Versuchsoperation im Lager informiert seid? –

Also von diesem Transport sind seit dem 1. 8. 42 bis zum März 43 71 völlig gesunde, verwiegend junge Frauen operiert worden. 5 starben an den Folgen der Operationen, der Rest überlebte, aber einige von ihnen wurden zu Krüppeln und werden niemals mehr normal laufen können.

– Im März, als man uns nach einer längeren Pause (von einigen Wochen) wieder nehmen wollte, lehnten wir uns dagegen auf und die Operationen haben irgendwie aufgehört – die Lagerführung, die von uns gefragt wurde, weshalb wir operiert werden, antwortete, sie wisse von keinen Operationen, es ginge nur um Meßwerte, dann wieder um ärztliche Untersuchungen und ähnliche Ausreden,

aber wie es schien, konnten wir uns durchsetzen, und als letztens im März die Aufgerufenen sagten, sie würden nicht gehen, wurden keine Konsequenzen ihnen gegenüber daraus gezogen und bis zum 15. August war die Sache eingeschlafen, - an diesem Tag wurden 10 Frauen aus unserem Transport (und das nur 3 neue und 7 zuvor operierte, sogar mehrmals) gerufen und sollten angeblich auf Arbeitstauglichkeit untersucht werden, aber wir ließen uns selbstverständlich nicht überlisten, ihre Tricks sind uns bekannt, und unsere Mädchen sagten, sie würden nicht gehen, sie flüchteten das erste Mal, dann das zweite,und als sie schließlich von Polizisten aus der Baracke herausgeholt wurden, verhaftete man sie und steckte sie in Arrest je 5 in zwei Zellen, und eine Gruppe von fünf Frauen wurde am nächsten Tag, dem 16. 8., in Kleidern in der Kellerzelle operiert, ungewaschen, man nahm sie mit Gewalt, SS-Männer hielten ihre Hände und Beine fest, und die Schwester gab Spritzen. –

Unsere Baracke, die sie nicht verraten und nicht gezeigt hat, als sie sich nach ihrer Flucht aus „Protest“ in unseren Reihen versteckten, bekam 3 volle Arresttage ohne Essen und Trinken und mit zugezogenen Fensterläden.

Nach elf Tagen dürften die 5 nicht operierten Frauen in ihre Baracke zurück, die anderen 5 die operiert wurden, verlegte man ins Revier und wiederholte bei zwei [siehe Anmerkung] von ihnen die Operation. –

Und die Sache sieht nun vorerst so aus: diese Frauen liegen (ihre beiden Beine sind operiert und in Gips gelegt, es waren vermutlich Knochenoperationen, aber wir sind dessen nicht sicher, weil wir eigentlich nicht wissen, welchen Operationen wir unterzogen wurden, und wir sind immer darauf gefaßt, daß man uns jeden Moment aufrufen kann – keine von uns wird freiwillig gehen, aber wir müssen natürlich der Übermacht weichen – es ist uns klar, daß unsere Haltung uns nicht vor Operationen schützen kann, aber sie gibt uns zumindest moralische Genugtuung, wir unterziehen uns freiwillig, weder heute noch morgen, keiner Operation, die für unseren Feind Nutzen bringt. – Außerdem, na ja – seit Mai gab es keine Hinrichtungen, der letzte „Transport ins Unbekannte“ war im Mai, seitdem herrscht bereits Ruhe.“

Anmerkung der polnischen Herausgeberinnen:
Laut der erwähnten Liste war damals (am 31. 08. 1943) nur Halina Piotrowska operiert. Hingegen bei dem Namen von Helena Piasecka erscheint das Datum der darauf folgenden Operation am 31. 9. 1943. Da aber der Monat September 30 Tage hat, muß hier ein Irrtum vorliegen – ihre Operation erfolgte entweder am 30. 9. 1943 oder, was wahrscheinlicher ist, am 31. 8. 1943. Die Autorin spricht nämlich von zwei Operierten

Aus den geschmuggelten Briefen:

Aus den geschmuggelten Briefen:
„Chirurgische Versuche: es wurden bislang 80 Operationen durchgeführt (ausschließlich an Polinnen, fast nur an Frauen aus Lublin), ohne Rücksicht auf Proteste der für die Operationen Vorgesehenen. Fünf starben. Der Rest – sind Krüppel, unfähig, normal zu laufen. Es wurden Beine operiert und vermutlich Knochen herausgenommen. Die Operationen werden unter Geheimhaltung vollzogen; Häftlingskrankenschwestern dürfen dabei nicht assistieren. Die Operierten leiden sehr. Sie bleiben wahrscheinlich ihr ganzes Leben Krüppel.
Es operiert Dr.Gebhard aus Hohenlychen (wo sich ein Sanatorium für Invaliden befindet). Das Verbrechen dieser Operationen hat nicht seinesgleichen.“

Montag, 17. Mai 2010

Grażyna Chrostowska: Ihre Gedichte im Schmuggelfund

Heute stelle ich Euch eine der Dichterinnen aus Ravensbrück vor.
Ihr Name: Grażyna Chrostowska
15 ihrer Gedichte haben die Frauen aus Ravensbrück herausgeschmuggelt.


Am 21. Oktober 1921 wurde Grażyna Chrostowska in Lublin geboren. Sie besuchte dort das Hanna-Czenerecka-Gymnasium. Grażyna Chrostowska schloss sich früh einer polnischen Untergrundorganisation (KOP) an und verteilte heimlich die illegale Zeitschrift "Polska Zyje" (Polen lebt).
Am 8. Mai 1941 wurde sie zusammen mit ihrem Vater in der Gestapostelle "Pod zegarem" verhaftet, als sie ihre dort bereits inhaftierte, zwei Jahre ältere Schwester Apolonia besuchte.

Bereits im Schulalter hatte Grażyna Chrostowska zu schreiben begonnen. Im Gefängnis "Schloss Lublin" begann sie Gedichte zu verfassen.


Das als Gefängnis dienende Schloss im Hintergrund des damaligen jüdischen Viertels von Lublin © Tomasz Wiśniewski (http://www.szukamypolski.com)

Sie wurde mit dem Lubliner Transport am 12. September 1941 nach Ravensbrück deportiert. Ihren Mitgefangenen trug sie dort Gedichte vor, die sie bei den Appellen oder in der Pritsche liegend aus dem Gedächtnis schuf. Ihr unbestrittenes literarisches Talent konnte sie nicht mehr weiter entfalten.

Am 18. April 1942 wurde sie zusammen mit ihrer älteren Schwester Apolonia sowie weiteren elf Polinnen von einem Exekutionskommando in Ravensbrück ermordet. Grażyna Chrostowska war 20 Jahre alt.

Ihre Gedichte blieben erhalten, weil sie sie kurz vor ihrer Hinrichtung der Freundin Nina Iwanska übergab, die sie aus Angst vor Entdeckung auswendig lernte.

Nina gehörte zu den jungen Frauen, die Opfer der medizinischen Experimente wurde. Nach den Operationen, so ihre Erinnerung, haben die Gedichte der Freundin ihr und den anderen Kraft und Trost gegeben.

Das Originalheftchen, in das Grażyna mit Bleistift ihre Gedichte eingetragen hatte, fand sich im Schmuggelfund. Eines ihrer Gedichte lautet "Die Fremde".


Blick auf das Konzentrationslager Ravensbrück vom Dach der "Kommandantur", 1940/41 (SS-Fotoalbum, www.ravensbrueck.de)


D I E F R E M D E


Stumme Reihen flacher, grauer Baracken

Und der Himmel ebenso grau, eisgrau ohne Hoffnung.

Eine Schar ungleicher Menschen, verloren im Dunkel,

Ein strenges Bild. Ein fremdes Bild. Zuviel Schweigen.

In toter Leere schleift sich Sehnsucht in die Stille,

Und nachts streift sie umher in blinden Seitengassen,

Und die große, dumpfe Verzweiflung erstickt vor Rührung.

Höre, wie weit von all dem rauschen freie Wälder.

Gibt es uns noch, sind wir immer noch dieselben.

Meine Sein kann ich nicht sehen, noch spüren, noch verfolgen.

Auf harter, fremder Erde bleiben unsere Spuren,

Flacher als die Vergessenheit,

Wir waren hier, und damit ist´s aus …


Grażyna Chrostowska, gedichtet im KZ Ravensbrück 1941/42

Dienstag, 11. Mai 2010

S A L B E I



Auf einer smaragdgrünen Rasendecke
Blutrote Salbeiblätter der Wind verwehte
Wie große Tropfen Blut.
Und gleich dem Silber und dem Brillant
Funkelt der Tau durch Blätterhaut
Wie große, trübe Zähren.
Auf Deine Augen, die kühn und trüb
Düstere Nebel wie Schatten fiel,
Es wurde Finsternis.
Beim Glanz des Sonnenuntergangs
Leuchtet im Wald rot auf dem Sand
Etwas wie Salbei Blüte.

Halina Golczowa

Mittwoch, 7. April 2010

Nürnberger Ärzteprozess

Es gibt ein ziemlich interessantes Videoclip, ein Auschnitt aus den Nürnberger Prozessen vom Dezember 1946.
Gezeigt werden
Maria Kusmierczuk (geb. 1920 in Zamosc)

und Jadwiga Dzido (-Hassa, geb. 1918).

Maria Kusmierczuk wurde von anderen Häftlingen übrigens auch im KZ Ravensbrück heimlich fotografiert. Der Fotoapparat wurde unter Lebensgefahr "organisiert", die Frauen wollten um jeden Preis das Verbrechen dieser vorwiegend an den Beinen vorgenommenen Experimente festhalten:

Spektalurär, wie diese Aufnahmen vor der SS geschützt und am Ende rausgeschmuggelt werden konnten. Doch davon später mehr.




In unserem Schmuggelfund finden sich Listen über die medizinischen Experimente, die SS-Ärzte an 74 vorwiegend jungen Polinnen durchgeführt haben. Sulfonamidexperimente, Knochentransplantationen, Muskelentfernungen und ähnlich scheußliche Dinge mehr.

Vor Gericht beim Nürnberger Ärzteprozess sagten vier der Überlebenden aus, und ihre verstümmelten Beine waren die leibhaftigen Beweise.
Hier der Filmauschnitt, den das United States Holocaust Memorial Museum zur Verfügung stellt: Videoclip, 20.12.1946